Dieses Dokument beschreibt Grundsätze eines gemeinsamen Erinnerns in Dresden. Eine erste Fassung wurde im Sommer 2004 von mehreren bürgerschaftlichen Gruppen erarbeitet und durch Hunderte Unterschriften aus allen Bereichen der Stadtgesellschaft legitimiert. Sie bezog sich speziell auf das symbolbeladene Gedenken an die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945. Mit einem neuerlichen »Rahmen für das Erinnern« soll wiederum ein bürgerschaftlicher Impuls für die Entwicklung verantwortlicher Erinnerungskulturen in unserer Stadt gegeben werden. Im Blickpunkt steht nunmehr die Gesamtheit und Vielfalt städtischen Erinnerns.
Dresden, Oktober 2013
Wie wir Erinnern verstehen
Jede Stadt, auch Dresden, lebt mit vielen Erinnerungen. Die Erfahrungen und Zeugnisse der Vergangenheit sind der Hintergrund, vor dem wir Dresdnerinnen und Dresdner die Gegenwart und Zukunft unserer Stadt gestalten. Aus der Geschichte beziehen wir Wissen, Gefühle und Haltungen, die unser Verhältnis zu unserer Stadt und zueinander beeinflussen.
Die Vergangenheit Dresdens und seiner Einwohnerinnen und Einwohner ist vielfältig, auch widerspruchsvoll. In ihr finden sich Alltag und Ausnahme, Glanz und Not, Glück und Tragik, Verdienst und Schuld.
Wenn wir in größeren oder kleineren Gruppen an Vergangenes erinnern, dann verbinden sich damit Absichten, seien sie politisch, kulturell, sozial oder wirtschaftlich. Sie sind es, die bestimmen, an welche Aspekte unserer komplexen Vergangenheit wir erinnern und wie wir Vergangenes deuten. So vielfältig wie diese Absichten sind die Rückgriffe auf Geschichte. In jeder einzelnen Gruppe werden Inhalte und Formen des gemeinsamen Erinnerns durch viele Einflüsse geprägt.
So lebt Dresden, wie jede Stadt, mit vielfältigen Erinnerungskulturen, die sich unterscheiden wollen, einander aber auch begegnen können.
Welches Erinnern wir unterstützen
Die Erinnerungskulturen in unserer Stadt verstehen wir als produktive Ressourcen für die gemeinsame Arbeit an unserer Gegenwart und Zukunft. Dies ist jedoch an eine Bedingung gebunden: Das Erinnern muss auf Ziele gerichtet sein, denen sich die Dresdnerinnen und Dresdner verpflichtet fühlen.
Wir unterstützen das Erinnern an die Vergangenheit unserer Stadt insbesondere dann, …
- wenn es mit dem Eintreten für Frieden und Menschenrechte verbunden ist,
- wenn es sich auf die Stärkung von Demokratie und bürgerschaftlichem Engagement richtet,
- wenn es die Betroffenen von Krieg, Unrecht und Gewalt einschließt,
- wenn es die Ursachen und Strukturen von Gewalt und Unterdrückung thematisiert,
- wenn es Leistungen und Errungenschaften im Bewusstsein hält, die für eine menschenwürdige, demokratische und kulturvolle Stadtgesellschaft bedeutsam sind.
Welches Erinnern wir ablehnen
Wir lehnen Erinnerungskulturen ab, wenn sie sich auf Ziele richten, die außerhalb des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der UN-Menschenrechtscharta stehen.
Wir wehren uns insbesondere gegen Erinnern an die Vergangenheit unserer Stadt,…
- wenn es benutzt wird, um für demokratiefeindliche und menschenverachtende Ideologien, Haltungen und Aktionen zu werben,
- wenn es Menschen aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer territorialen, ethnischen oder sozialen Zugehörigkeit, ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität wegen diskriminiert,
- wenn es zu Gewalt aufruft oder Gewalt fördert,
- wenn es zur Legitimation von Krieg oder Revanchismus dient.
Wie wir erinnern
Die oben genannten Ziele beschreiben einen »Rahmen für das Erinnern«. Innerhalb dieses Rahmens steht die Vielfalt der unterstützten Erinnerungskulturen. Gegen ein Erinnern, welches sich auf Ziele außerhalb dieses Rahmens richtet, wehren wir uns.
Wir begreifen die Auseinandersetzung mit Geschichte und Erinnern als gemeinsame Bildungs- und Gestaltungsaufgabe. Wir entwickeln und fördern Aktivitäten, die sich auf diese Aufgabe richten, und engagieren uns gemeinsam, um möglichst viele Dresdnerinnen und Dresdner dafür zu gewinnen. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang insbesondere wissenschaftliche, pädagogische und kulturelle Projekte.
Innerhalb des beschriebenen Rahmens gestalten wir eine produktive Kultur der Begegnung im Erinnern. Wir achten differierende Erinnerungskulturen, fördern den Diskurs untereinander, suchen und vertiefen Gemeinsamkeiten.
Wenn Erinnern außerhalb dieses Rahmens steht, also für Absichten gebraucht wird, die wir ablehnen, werden wir dem entgegen treten. Diese gemeinsame Pflicht zum Widerstand schließt anlassbezogene Aktionen genauso ein wie längerfristiges Aufklären und Bilden.
Wir laden ein
Mit unserer Unterschrift verpflichten wir uns auf die genannten Grundsätze.
Wir laden die Dresdnerinnen und Dresdner ein, dieser Erklärung beizutreten und in ihrem Sinne aktiv zu werden!